©Wolfgang Bellwinkel - DGUV

Das Thema Gewalt gegen Einsatzkräfte in NRW wurde bisher in zwei Studien (Gewalt gegen Rettungskräfte, 2012, und Gewalt gegen Einsatzkräfte der Feuerwehren und Rettungsdienste in Nordrhein-Westfalen, 2017) durch die Ruhr-Universität Bochum im Auftrag der Unfallkasse NRW, des Landes NRW und der komba Gewerkschaft wissenschaftlich untersucht. Die Ergebnisse haben ergeben, dass es ein ernst zu nehmendes Gewaltproblem gibt. Es besteht Handlungsbedarf, die Einsatzkräfte wirksam zu schützen. Durch organisatorische und personenbezogene Maßnahmen soll versucht werden, die Gefährdung durch Gewalt zu reduzieren.

Maßnahmen

Auf Grundlage der Studien und von fachlichen Diskussionen und Erfahrungen können z. B. folgende Punkte als geeignete Maßnahmen zum Schutz der Einsatzkräfte vor körperlicher und verbaler Gewalt genannt werden:

  • Verbesserung der Kommunikation mit der Leitstelle und den polizeilichen Einsatzkräften,
  • klare Anweisungen zum Einsatzverhalten bei Gefährdungssituationen,
  • Fortbildung zum Thema „zulässige Maßnahmen bei Übergriffen (Notwehr)“,
  • Deeskalationsschulungen,
  • Schulung von Interventionstechniken bzw. körperlichen Schutztechniken,
  • Fortbildung zum Thema „Drogen, Suchtmittel und deren Wirkung“,
  • Fortbildung zum Thema „kulturelle, religiöse und migrationsspezifische Besonderheiten“,
  • Einsatz von Schutzwesten,
  • psychosoziale Unterstützung (kollegiale Nachsorge).

Welche Maßnahmen im Einzelfall erforderlich und sinnvoll sind, muss der Arbeitgeber auf Grundlage der Gefährdungsbeurteilung ermitteln (§ 5 Arbeitsschutzgesetz). Während der überwiegende Teil der aufgeführten Präventionsmaßnahmen in Fachkreisen als unstrittig gilt, wird das Thema „Schutzwesten für den Rettungsdienst“ kontrovers diskutiert. Deshalb gehört die Schutzweste bei vielen Rettungsdiensten auch nicht zur Standardausrüstung für Schutzkleidung. Einsatzkräfte, die Gewalterfahrungen gemacht haben, erwerben nicht selten gebrauchte Schutzwesten preisgünstig aus dem Internet, ohne zu wissen, welche Schutzeigenschaften sie bieten. Da es derzeit noch keine Festlegung gibt, welches Niveau eine Schutzweste für den Rettungsdienst erfüllen muss, ist die Festlegung eines Standards für den Rettungsdienst dringend geboten.

Die Notwendigkeit, Schutzwesten im Rettungsdienst einzusetzen, muss, genau wie die anderen genannten Maßnahmen, zunächst mithilfe der Gefährdungsbeurteilung auf ihr Erfordernis und ihre Sinnhaftigkeit hin geprüft werden.

Die Schutzweste wird in der DGUV Regel 105-003 „Benutzung von persönlicher Schutzausrüstung im Rettungsdienst“ nicht aufgeführt. Die Aufzählung der Schutzausrüstungen, die im Rettungsdienst eingesetzt werden, ist jedoch nicht abschließend. Dies ergibt sich aus dem Passus der Ziffer 2.3, letzter Absatz, in dem es heißt: „Ist beim Einsatz vor Ort mit einer gegenüber den Darstellungen dieser DGUV Regel erhöhten Gefahrenlage zu rechnen, wird das die Anforderungen an die auszuwählende PSA erhöhen“. Dies trifft zu, wenn Mitarbeitende regelmäßig in Situationen geraten, bei denen sie mit Gegenständen wie z. B. Kanülen, Messern und anderen spitzen Gegenständen attackiert werden. In diesem Fall sind Arbeitgebende bzw. verantwortliche Personen in der Pflicht, geeignete Präventionsmaßnahmen einzuleiten.

Dazu zählen z. B.

  • Vorabinformationen durch die Leitstelle,
  • Rückzug in einen gesicherten Bereich,

und der Einsatz von Deeskalationstechniken.

Diese Maßnahmen sind jedoch nicht in jeder Situation anwendbar bzw. ausreichend.

Bei spontanen Angriffen, z. B. durch stark alkoholisierte Personen oder Drogenabhängige, sind die Einwirkungsmöglichkeiten sehr begrenzt. Auch kann die Möglichkeit des Rückzugs, z. B. aus einer Wohnung, Gaststätte oder Disco, eingeschränkt sein. Für solche Situationen bietet die Schutzweste, zumindest für lebenswichtige Organe, eine gewisse Sicherheit.

Eine wesentliche Voraussetzung zur Akzeptanz einer Schutzweste als persönliche Schutzausrüstung (PSA) ist der Tragekomfort. Dazu gehört in erster Linie, dass die Schutzweste gut angepasst ist. Die Passgenauigkeit der Weste ist nicht nur für den Tragekomfort wesentlich, sondern auch für die Sicherheit, da Körperteile z. B. durch ein Verrutschen ungeschützt sein können.

Vor einigen Jahren wurde durch die Unfallkasse NRW bei verschiedenen Rettungsdiensten in NRW ein Trageversuch mit 64 Teilnehmenden durchgeführt. Ziel des Trageversuchs war es, herauszufinden, ob die Schutzweste für den Rettungsdienst praxistauglich ist. Zu diesem Zweck wurde eine Weste ausgewählt, die bereits im Rettungsdienst in der Schweiz eingesetzt wird. Sie hat ein Gewicht von etwa zwei Kilogramm und entspricht optisch der normalen Rettungsdienstbekleidung. Sie ist so gestaltet, dass sie verdeckt unter der Jacke getragen werden kann, um bei dem Gegenüber keine Aggressionen auszulösen. Die Schutzleistung der Weste entspricht den Vorgaben der Technischen Richtlinie (TR) „Ballistische Schutzwesten“ Schutzklasse (SK) 1, d. h., sie ist durchschusshemmend gegen 9 mm Weichkerngeschosse, und sie ist stich- und schnitthemmend. Die TR für ballistische Schutzwesten gilt vornehmlich für den Polizeibereich.

Die Ergebnisse des Trageversuchs waren überwiegend positiv. Der Tragekomfort und die Funktionalität wurden durchschnittlich als befriedigend bis gut bewertet. Das Erfordernis, Schutzwesten im Rettungsdienst einzusetzen, bejahten 65 %, und dass die Schutzweste ein besseres Schutzgefühl erzeugt, gaben 75 % an.

Schlussfolgerung

Die Ergebnisse dieser nicht-repräsentativen Erhebung haben deutlich gemacht, dass es einen Bedarf für den Einsatz von Schutzwesten im Rettungsdienst gibt.
Alle genannten Schutzmaßnahmen, die der Gewaltprävention dienen, sind wichtig und situationsabhängig anzuwenden. Die erforderlichen Schutzmaßnahmen sind immer in Abhängigkeit von der Gefährdungsbeurteilung auszuwählen und anzuwenden.
Nur wenn bei Einsätzen eine entsprechend große Gefährdung vorhanden ist, sollten Schutzwesten beschafft und eingesetzt werden.

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